Kommentar zur Vizekandidaten-Debatte
Alles ganz normal?
Was sind das für Zeiten, in denen es eine Nachricht ist, dass ein TV-Duell in den USA zivilisiert über die Bühne gegangen ist?
Von Claudia Kramer-SantelDie Antwort: Es sind Trump-Zeiten, in denen der Tabu-Bruch ebenso Teil seines verstörenden politischen Erfolgsrezepts geworden ist wie sein schräger Kult der Unwissenheit, den er gegen die Wissenschaft ausspielt. Wie beruhigend ist es, nach Trumps Chaos-Auftritt nun mit Mike Pence und Kamala Harris gleich zwei politische Profis am Werk zu sehen. Kämpferisch, aber sachlich redeten sie über viele Themen – auch wenn für einige der Abend allerdings so langweilig wurde, dass eine harmlose schwarze Fliege auf den weißen Haaren von Pence in den Mittelpunkt rückte.
Nur ein paar kleine Ausrutscher des Vizepräsidenten, der sich von der Moderatorin manchmal nicht stoppen lassen wollte, störten den Gesamteindruck. Immerhin lag der Druck ja auch auf Pence. Für ihn reichte es nicht, sich als kopfnickender Mitstreiter und moralisches Gegengewicht Trumps zu geben. Das hausgemachte Corona-Chaos lässt den Präsidenten in Umfragen immer schlechter dastehen. Darauf hatte Pence nicht immer die passenden Antworten. Er wich Fragen häufig aus. Sein kontrollierter Gesichtsausdruck wirkte versteinert und passte nicht zum Corona-Drama, auch wenn er Sätze sagte, die Trump nie über die Lippen kommen würden – über Empathie für die Opfer von Corona und Polizeigewalt.
So gab es nur einen leichten Punktsieg für Harris, die mitfühlend wirkte. Bei ihrem Debüt in diesem Format fühlte sich die erfahrene Staatsanwältin sichtlich wohl dabei, unter Druck zu argumentieren. Sie hat ganz spielerisch den Spagat geschafft, einerseits energischer und frischer als Biden zu wirken, andererseits nicht als besserwisserische, wütende Frau herüberzukommen – wie es Hillary Clinton im Duell mit Trump einst zum Verhängnis wurde. Zudem zerstreute sie ganz nebenbei das republikanische Vorurteil, eine unseriöse Linksradikale zu sein.
Unabhängig, ob sich etwas Großes bewegt hat: Das Duell hinterlässt positive Gefühle. Beide „Vize“ können Präsident. Werden sich die beiden in vier Jahren wiedersehen – dann als Hauptakteure im US-Wahlkampf? Vorerst dominiert Trump: Wie ein trotziges Kind sperrt sich der erkrankte Präsident dagegen, dass seine nächste Debatte virtuell stattfinden soll. Er ahnt das Problem. Wenn er sich dann daneben benimmt, kann man ihm ganz leicht einfach den Ton abstellen.